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Markus Müller

Visionär und Optimist: Markus Müller, Vollblut-Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters

Als Kind war er ein Revoluzzer. Vieles, was seine Eltern ihm nahebringen möchten, boykottiert er: Klavier spielen, für die Schule lernen, Ski fahren, … Aber dass er zum Theater will, das weiß er von klein auf. Mit 15 Jahren schon steht er erstmals auf den Brettern, die die Welt bedeuten, als Student der Theaterwissenschaft jobbt er im Stadttheater Bamberg und gründet eine Theatergruppe. Und weil ein Fach ja viel zu eindimensional ist, studiert er parallel Betriebswirtschaftslehre, Germanistik und Philosophie. Ach ja, und sein Geld verdient er sich in dieser Zeit auch noch selbst: mit Klaviertransporten, Regiearbeit und Kinderbetreuung. Letzteres funktionierte so:

Während die Eltern ins Theater gingen, beaufsichtigte er in einem Nebenraum des Theaters ihre Kinder. Und wie! Zwei Stunden Zeit blieben ihm, um mit diesen Kindern eine Kurzversion des auf der Hauptbühne spielenden Stückes einzustudieren. Mit Kostümen und allem Drum und Dran. War die offizielle Vorstellung vorbei, kamen die Eltern und schauten sich die zweite, kürzere Inszenierung an, die ihre Sprösslinge aufführten. Der Applaus war groß und da sich das zusätzliche Programm sehr schnell herumsprach, kamen alsbald nicht nur die Eltern, sondern auch andere Zuschauer, um diese kostenlose Zugabe auf der Nebenbühne zu genießen.

Heute ist er übrigens froh, dass er auch den Durchblick in der Betriebswirtschaft hat. Auch wenn die künstlerische Leitung sein Kerngeschäft ist, so ist es nicht verkehrt, wenn man – gerade in Zeiten knapper Kassen – mit Geld umgehen kann.

Theater, das ist meins

Zum Glück gibt es niemanden in seiner Familie, der irgendwie beruflich mit Theater zu tun hat. „Es musste meins sein. Und ich wusste immer, Theater ist mein Ding!“ Das ist der Stoff, aus dem erfolgreiche Generalintendanten werden. Bis heute ist es dieses Für-die-Sache-Brennen, diese Authentizität, dieses Wahrhaftige, das ihn in so vieler Hinsicht unwiderstehlich macht. Kein Wunder, dass er noch nie erfolglos aus einem Sponsorengespräch gekommen ist, denke ich. Dieser Mann lebt Theater. Er ist das Theater. Beruf und Berufung in einem.

Bevor er nach Oldenburg kommt, wirkt er in Mannheim am Nationaltheater, dem größten Vier-Sparten-Theater Europas. Von 1997 bis 2001 ist er persönlicher Referent des dortigen Generalintendanten Ulrich Schwab, danach bis 2005 stellvertretender Generalintendant. Weil zwei Kollegen (u. a. der Personalchef) wegen Krankheit ausfallen, übernimmt er „nebenbei“ auch gleich deren Posten. Da kommt es schon mal vor, dass er 140 Stunden in der Woche arbeitet. „Aber das kann man nur zwischen 20 und 30 Jahren. Das würde ich heute nicht mehr überleben.“

Neue Besen

Im Jahr 2006 wechselt er dann als jüngster Intendant Europas nach Oldenburg, zum kleinsten Staatstheater Deutschlands. Hier gibt es viel zu tun. Und er springt ins kalte Wasser.

In den ersten Wochen hier erreichen ihn zweieinhalbtausend Initiativ-Bewerbungen. Jeder, der aus der Branche kommt, weiß schließlich: Neue Besen kehren gut und dies ist vielleicht meine Chance. Ganze vier Schauspieler wählt er aus dieser Flut aus. „Wir wollen nur die Besten bei uns auf der Bühne. Das war so, als ich angefangen habe und das ist auch heute noch so.“

Er kennt jeden, der hier durch den Bühneneingang kommt und geht: Schauspieler, Sänger, Regisseure, Techniker, Handwerker, … Heute besteht „meine Theaterfamilie“ aus 438 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie kommen aus rund 23 Nationen, „eine bunte Mischung“. Nur die Schauspieler müssen Muttersprachler sein, für die anderen Sparten kommen sie aus der ganzen Welt.

Markus Müller ist laut eigenen Aussagen Generalist. „Ich kann alles ein bisschen und nichts richtig.“ Das ist zwar ein wenig untertrieben, aber wir einigen uns auf: „Ich kann alle Bereiche zumindest so gut beurteilen, dass mir keiner Quatsch erzählen kann.“ Genau das braucht es in der Position eines Generalintendanten.

Weil er genau weiß, was er kann und was nicht, weiß er auch, wann er sich Unterstützung holen muss. Aus diesem Grund haben wir in Oldenburg eben auch namhafte Musik- und Tanzdirektoren, um nur zwei Beispiele zu nennen. „Wir sind hier ein Team. Ohne all diese engagierten Menschen wäre auch meine Arbeit nichts.“

Wir schaffen das!

Kommunikation ist alles, gerade wenn man etwas erreichen will, wenn man besser als andere sein will und wenn man Visionen hat. So wie Markus Müller. „Führung ist nichts anderes als Moderation“, sagt er und damit wird auf Anhieb deutlich, welchen Stil er bevorzugt. „In den vergangenen zwei Jahren ist die interne Kommunikation allerdings etwas zu kurz gekommen.“ Kein Wunder, denn in dieser Zeit wurde das Oldenburgische Staatstheater komplett saniert. Dem 2009 von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturpaket sei Dank! Dabei waren ursprünglich überhaupt keine Investitionen für den Kulturbereich vorgesehen. Das Oldenburgische Staatstheater, vielmehr Markus Müller, hat es trotzdem geschafft. „In diesem Fall waren wir mal Krisengewinnler, genau wie Mutter Courage.“

Es wurde allerdings auch höchste Zeit, dass etwas geschieht. Die Wasserleitungen waren marode, der Brandschutz grenzwertig und ab und zu fielen mehr oder weniger große Stuckteile von der wunderschön verzierten Decke (von denen er mehrere aufbewahrt hat). Überzeugen kann Müller jedoch mit technischen und vor allem energetischen Argumenten (und mit Fotos, von denen der unbefangene Betrachter allerdings eher vermutet, dass es sich dabei um fiese Kollagen, nicht aber um die reale Arbeitswelt am Theater handelt.) Müller reist von Pontius zu Pilatus, spricht mit Entscheidern, Sponsoren und Politikern; er macht Bestandsaufnahme und entwickelt zugleich Konzepte. Parallel dazu macht er sich auf die Suche nach einem Ausweichquartier. Schließlich kann und soll der Betrieb nicht für anderthalb Jahre geschlossen werden.

Mythos Fliegerhorst

Und dann das d’accord: Der Fliegerhorst wird für das ganze Ensemble zur Wahlheimat, genauso wie Oldenburg für ihn und seine Familie längst zu einer solchen geworden ist. Auch das Publikum ist begeistert. 206.000 Besucher kommen in dieser Zeit des „Aushäusigen“. „Das war eine Komplett-Euphorie auf allen Ebenen. So etwas ist nicht zu toppen!“ Dass so viele kamen und schauten, lag sicher auch daran (aber nicht nur), dass die Zeit auf dem ehemaligen Bundeswehr-Flugplatz begrenzt war. Jeder wollte einmal gesehen haben, wie aus einer alten Flugzeugwerft ein Theater wird.

„Am Anfang haben alle zu mir gesagt, du spinnst. Wie willst du hier ein Orchester unterbringen? Und was ist mit der Akustik? Denk an all die Vorschriften bautechnischer Art. Aber ich habe einfach beschlossen, dass wir es schaffen werden.“

Sein Vertrauen ist so groß, dass er im Mai 2010 veranlasst, den Orchestergraben ausheben zu lassen, obwohl erst im Juli 2010 der erste Euro überwiesen wird. „Wir hatten keinen Cent. Aber wir haben an uns und an die Sache geglaubt.“ Da ist es wieder, dieses Authentische: „Für Projekte, für die ich brenne, kann ich glaubhaft begeistern.“ In der Tat, das kann er.

Für zwei Jahre arbeitet er also wie zur Studienzeit wieder mehrgleisig. Zum einen muss der Theaterbetrieb am Laufen gehalten werden – und zwar ohne dass die Qualität darunter leidet –, und zum anderen braucht es seine volle Aufmerksamkeit bei der Sanierung des Großen Hauses. Weil er sich aber seiner Überzeugungskraft sicher ist, bestellt er schon mal das Gestühl, obwohl die Finanzierung völlig ungeklärt ist. „Wir schaffen das.“ Dann hat er die Idee mit einer Stuhl-Patenschaft. Und so findet er nach und nach für jeden neuen Sitzplatz einen Sponsor.

Ansonsten hechelt der Intendant von einem Termin zum anderen: Presse, Mitarbeiter, Proben, technische Abteilungen, Handwerker, Politiker, Publikum, Wirtschaftsvertreter, Sponsoren, … Ansprechpartner gibt es genügend. Wäre er nicht so geübt durch den Stress früherer Jahre und hätte er nicht ein gewisses Maß an Gelassenheit, so hätte die Sache auch schief gehen können. Ist sie aber nicht! Und dafür zollt man ihm bundesweit Anerkennung und Bewunderung. Einen derartigen Umbau bei laufendem Betrieb mit steigenden(!) Besucherzahlen, so etwas hat es im ganzen Land noch nicht gegeben.

Theater darf auch verstören

Nach zwei Jahren Ausnahmezustand und der Wiedereröffnung heißt es erneut nach vorne schauen. Die Herausforderung auf den Punkt gebracht bedeutet: „Hier muss alles rund laufen!“ Für den Mann mit der schwarz-umrandeten Brille und dem schwarzen Rollkragenpullover heißt das, dass jetzt allein der Inhalt wieder im Mittelpunkt steht. Was das bedeutet? „Man darf dem Publikum nicht hinterher rennen, denn dann sieht man es ja nur von hinten.“ Das klingt logisch. „Was wir auf der Bühne brauchen, ist eine gute Mischung aus Klassikern und zeitgenössischer Kunst. Ein Theaterstück darf ruhig auch einmal verstören. Wichtig ist, dass die Menschen Erkenntnisse gewinnen, dass der Stoff zum Nachdenken und Diskutieren anregt. Je weniger wir unserem Publikum zutrauen, desto mehr wollen sie nur das Herkömmliche sehen.“ Und das ist nun so gar nicht seine Art.

Offenheit ist angesagt. Eine Offen- und Aufgeschlossenheit, die er bei den Oldenburgern von Anfang an kennen und schätzen gelernt hat. Auch schon bei seinem allerersten Besuch, bei dem ihm ein wildfremder Busfahrer hilfreich zur Seite gestanden hat, als es um eine erste Orientierung innerhalb der Stadt ging.

Markus Müller ist seit 2006 in dieser verantwortlichen Position. Er liebt seinen Beruf, unter anderem weil er „sehr nahe am Menschen dran ist“. Dass dieses kleinste aller deutschen Staatstheater international einen so guten Ruf genießt, ist auch sein Verdienst. „Diese gute Reputation haben wir uns gemeinsam erarbeitet.“ Und obwohl Schauspieler, Sänger und Tänzer immer nur befristete Verträge erhalten und weit weniger als die meisten in dieser Republik verdienen, sind sie trotzdem glücklicher als Arbeitnehmer/innen anderer Branchen. „Im Grunde ist jede Inszenierung ein Prototyp.“ Das bedeutet, dass „wir anders als in der Industrie niemals dasselbe machen müssen.“

Und die Familie?

Hat so ein vielbeschäftigter Mann eigentlich auch einmal Feierabend? Ja hat er. Theaterferien hat er auch und jeden 24. Dezember und 1. Mai ist das Theater sogar komplett geschlossen. Wenn er also mal nicht arbeitet, dann nimmt sich der gebürtige Allgäuer Zeit für einen Spaziergang am Meer. Besonders die Ostfriesischen Inseln haben es ihm angetan – wenn es hier schon keine Berge gibt. Immerhin, den Blick in die Ferne schweifen lassen, das können wir auch im norddeutschen Raum. So wie er es als Kind gern getan hat, wenn er den Blick von oben bis tief ins Tal genossen hat.

Doch man kann es drehen wie man will, die Arbeit am Theater ist nicht gerade familienfreundlich. Deswegen müssen der Vollblut-Intendant und seine Lebensgefährtin schon Organisationstalent beweisen. „Früher hatten wir eine Tagesmutter für unsere Tochter. Seitdem sie in den Kindergarten geht, haben wir fünf Babysitter. Jeden Morgen und drei Nachmittage in der Woche gehöre ich aber nur ihr allein.“ Sechs Jahre ist sie heute. Im nächsten Jahr kommt sie zur Schule. Ihr größter Wunsch ist es, Geige zu lernen. Dieser Wunsch wurde kürzlich gewährt – und zwar, weil es die Tochter und nicht die Eltern wollten (vgl. oben, das Revoluzzer-Kind). Obwohl: Die erste Geige scheint sie im Haushalt Müller sowieso zu spielen. Trotz unmöglicher Arbeitszeiten.

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