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Imme Frahm-Harms, Germanistin

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Christian Klinge

Café Klinge: Schöne süße Welt

Als Christian Klinge mit drei Jahren durch das Café lief, das sein gleichnamiger Urgroßvater und Konditormeister 1884 am Theaterwall gegründet hatte, da wussten die Stammgäste schon: Das wird mal der neue Inhaber. Doch davon wollte der Junior, als es für ihn ein Thema wurde, überhaupt nichts wissen. Sah er doch als Kind und Jugendlicher, wie sehr seine Eltern sich abrackerten. Sie hatten kaum einen freien Tag. Das ganze Leben wurde bestimmt durch den Rhythmus, den der Betrieb vorgab. Zwar waren Mutter und Vater immer in der Nähe – die Familie wohnte über dem Café –, doch oft hieß es: „keine Zeit.“

Es gab aber auch Tage mit „positiven Randerscheinungen“, zum Beispiel Christians Geburtstage. Sobald das Café geschlossen war, wurde hier mit der gesamten eingeladenen Kinderschar Versteck gespielt. Oder damals, als er doch ein wenig übertrieb: Fußballspielen im Café – das war nun wirklich ausdrücklich verboten. Doch dieser glitzernde Kronleuchter reizte einfach zu dolle. Den kickte er eines Tages mehr oder weniger aus Versehen von der Decke. „Das gab richtig Ärger.“ Ach ja, und das Fahrradfahren lernte der Lütte übrigens im „Oberstübchen“. „Da bin ich immer um den Wohnzimmertisch herumgefahren.“ (…)

Die Welt erobern – das kann sich Klinge Junior nur allzu gut vorstellen. Also schreibt er eine Bewerbung an die Reederei Hapag Lloyd. Sein Ziel ist es, als Konditor auf einem Kreuzfahrtschiff anzuheuern. Doch aus welchem Grund auch immer, das Unternehmen antwortet einfach nicht. (…)

Malaysia heißt das Ziel. Es ist eine spontane Bauch-Entscheidung: „Ja, das machst du!“ Vorausgegangen war der Anruf eines Kollegen, der ihn fragt, ob er nicht seinen Arbeitsplatz in einem Hotel übernehmen wolle. Ein Hotel, in dem hauptsächlich europäische Geschäftsleute Station machen. Nur ganz kurz reflektiert Klinge noch: „Dort gibt es keine wilden Tiere und die Bevölkerung lebt zivilisiert. Warum also nicht?!“ Asien! Da übt schon der Klang einen großen Reiz auf ihn aus.

Nach der mündlichen Zusage des Arbeitgebers konnte er davon ausgehen, dass ihm bei der Arbeit qualifizierte Mitarbeiter zur Seite stehen. Als er in Tawau in der Provinz Sabah in Ost-Malaysia ankommt, ist niemand da. Sie alle haben den Dienst quittiert. Kein gutes Zeichen. Jetzt kommen stattdessen Ungelernte.

Diese Tatsache ist nicht das Einzige, was die Sache vor Ort schwierig macht. Die Arbeitsbedingungen sind in mehrfacher Hinsicht eine Zumutung. Immer mal wieder fällt der Strom aus – dann wird gehofft, dass die Hitze im Ofen noch ausreicht. Trotz des extrem feuchtwarmen Klimas gibt es in den Arbeitsräumen keine Klima-Anlage. Das Mehl muss mehrfach gesiebt werden, um wirklich sicher zu gehen, dass sich darin kein Ungeziefer mehr aufhält. Die englische Sprache gehört zwar wegen der langen Kolonialzeit unter den Briten eigentlich zum Standard, aber nicht jeder spricht sie. Manche verstehen eben ausschließlich die Amtssprache Malaysisch oder sprechen chinesisch. „Das war alles sehr spannend“, so sieht der neue Chef-Pâtissier es – rückblickend. (…)

aus: Oldenburger Erfolgsprofile,
ISBN 978-3-7308-1079-8

Imme Frahm-Harms · Germanistin (M.A.) · Telefon: 0441/20 13 45 · textur(at)t-online.de
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