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Imme Frahm-Harms, Germanistin

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Hermann Griepenkerl

Ankunft in der Villa Griepenkerl

Der Winter 1921/22 war lang und kalt in Oldenburg. Bis in den März hinein gab es Frost und die Flüsse und Seen waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt. So auch die Haaren, die genau vor meinem Elternhaus vorbeifloss. An einem dieser Märztage, genauer gesagt am Montag, dem 27. März 1922, bin ich dort geboren. Mein Vater saß wie so oft an seinem Schreibtisch im Herrenzimmer. Plötzlich hatte er den Eindruck, dass die Hühner auf unserem Hof ungewöhnlich laut gackerten. Doch er irrte sich, denn was er gehört hatte, war meine erste Äußerung auf dieser Welt, der erste Schrei seines erstgeborenen Sohnes. Die Freude über den Stammhalter war groß im Hause Griepenkerl. Und es ist übermittelt, dass die Hühner an diesem Tag eine Extra-Portion Körner zu futtern bekamen.

Das Haus Herbartstraße 25 am Ufer der Haaren hatte mein Vater zwei Jahre zuvor, im August 1920, vom Vorbesitzer, dem schon etwas betagten Arzt Dr. med. E. Kaase erworben, der bis dahin dort seine Praxis hatte. Die Herbartstraße gehört übrigens zu den ersten Straßen im Dobbenviertel. 1866 beschloss der Rat der Stadt, dass ein Teil der ehemaligen städtischen Bleicherwiese nun als Bauplätze ausgewiesen werden sollte. 1868 entstanden die ersten Häuser in der damaligen „Bleicherstraße“. Am 19. September 1872 schlug die Oldenburger Zeitung vor, diesen Namen zu ändern und die Straße dem in Oldenburg geborenen Philosophen Johann Friedrich Herbart zu widmen. Nur eine Woche später beschloss der Magistrat der Stadt, dieser Anregung zu folgen.

Mein Elternhaus war ein wunderschönes, ja stattliches Haus. Einige sagten sogar, es sei das schönste Haus Oldenburgs. Und schon bald nach dem Kauf durch meinen Vater sprach man in Oldenburg nur noch von der „Villa Griepenkerl“. Das 1875 erbaute Wohnhaus hatte einen herrlichen Garten und es gab einen freundlich hellen Pavillon, in dem wir sonntags „kaffeesierten“ wie man in Oldenburg so schön sagt. Auf dem Innenhof befanden sich eine Remise und ein Stall, in dem zwei Pferde Platz hatten. Autos gab es zu dieser Zeit ja noch wenige und ich erinnere mich, dass wir sonntags gut gelaunt – und meistens laut singend – mit der Kutsche zum Elternhaus meines Vaters fuhren. Die waren Bauern und lebten auf einem großen Hof in Littel bei Wardenburg.

Die obere Wohnung unserer Villa war stets an honorige Leute vermietet, zum Beispiel an den Intendanten des Staatstheaters, den Generalstaatsanwalt, den Gerichtspräsidenten und andere Oldenburger Persönlichkeiten von Rang.

Für uns Kinder war diese innenstadtnahe Wohnlage ideal. Es gab große Gärten, auf den Straßen fuhren hauptsächlich Fahrräder und ab und zu ein Pferdefuhrwerk. In unmittelbarer Nachbarschaft lag die bereits 1884 gegründete Hof-Konditorei Klinge mit angeschlossenem Café.

Man erzählte sich, dass ich im Alter von nur drei Jahren mit Kochtopf und Kochlöffeln „bewaffnet“ trommelnd über die Haarenbrücke – damals noch aus Holz – und den Friedensplatz gelaufen bin, um anschließend die Besucher des Cafés Klinge, die im Sommer auf der Terrasse sitzend ihren Kaffee genossen, mit meiner „Musik“ zu beglücken. Die Gäste klatschten artig und der Dreikäsehoch war zufrieden. Und weil er so viel Anklang gefunden hatte, marschierte er am nächsten Tag erneut in die Richtung. Doch Herr Klinge fürchtete wohl, dass er in Zukunft täglich mit solcher Art Konzert zu rechnen hätte, denn mein Vater bekam einen Anruf von ihm. Damit war mein schönes Freiluftkonzert fürs Erste beendet.

aus: Hermann Griepenkerl, Mein Leben am Ufer der Haaren,
ISBN 978-3-89995-792-1

Imme Frahm-Harms · Germanistin (M.A.) · Telefon: 0441/20 13 45 · textur(at)t-online.de
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